Ein Redebeitrag (Auszug) von Dr. Johannes Margreiter für das österreichische Parlament. Vorgetragen am 15. Dezember 2022. Der Abgeordnete wurde ersucht um einen Beitrag zum Thema: „Maßnahmenvollzug“
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Geschätzte Zuseherinnen und Zuseher! Kolleginnen und Kollegen!
Wir sind uns darüber einig, dass Sprache Macht hat. Aus diesem Grund werden in diesem Gesetzentwurf Bezeichnungen, die nicht mehr gängig sind, ersetzt –Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher durch forensisch-therapeutische Zentrum et cetera. Für mich fängt aber die Frage der Bezeichnung schon viel früher an, weil eigentlich der Begriff Maßnahmenvollzug schon in dem Sinn falsch ist, dass es in diesem Gesetz, das wir jetzt anpassen, ja auch um die Anordnung der Maßnahmen geht. Das ist schon der entscheidende Punkt: Jemand hat sich regelwidrig verhalten, landet vor dem Strafgericht. Da sind wir seit 50 Jahren so weit, dass wir sagen: Wer nicht zurechnungsfähig ist, wer nicht schuldfähig ist, der kann auch nicht bestraft werden. Das heißt also, es muss in erster Linie einmal geklärt werden: War der Täter zurechnungsfähig oder nicht?
Dann muss geklärt werden – um eine vorbeugende Maßnahme verhängen zu können –, ob dieser Täter allenfalls auch gefährlich ist. Das ist der große Unterschied zum normalen Strafverfahren. Beim normalen Strafverfahren geht es darum, zu klären: Hat jemand etwas getan und unter welchen Bedingungen und in welchem Zustand hat er es getan?
Bei der Anordnung von Maßnahmen, bei der Maßnahmenanordnung geht es darum, dass wir einen Blick in die Zukunft machen müssen. Wir müssen sozusagen in die Glaskugel schauen, ob dieser Täter aufgrund seiner psychischen Erkrankung allenfalls eine Gefahr für die Gesellschaft darstellt. Und genau da ist mein Hauptkritikpunkt an der jetzigen Novelle des Maßnahmenvollzugs. Ich weiß es aus der Praxis. In Hall in Tirol, wo ich beruflich tätig bin, befindet sich die forensische Anstalt von Tirol. Das führt dazu, dass ich relativ oft mit Verfahrenshilfen im Rahmen von Unterbringungsverfahren zu tun habe. Ich kann berichten, dass es wirklich dringenden Verbesserungsbedarf gibt, was die Qualität der Gutachten betrifft, die der Entscheidung der Gerichte zugrunde liegen, ob jemand als gefährlich einzustufen ist oder nicht. Das ist eine ganz wichtige Entscheidung.
Natürlich, auf der einen Seite haben wir das Bedürfnis der Gesellschaft nach Sicherheit, aber auf der anderen Seite haben wir auch das Grundrecht jedes Einzelnen auf die persönliche Freiheit, die nur dann eingeschränkt werden darf, wenn es alternativlos ist. Genau da haben wir dieses berühmte Sicherheitsdilemma, nämlich das Dilemma, dass natürlich der Sachverständige, der sagt: keine Gefahr!, mitunter, wenn dann doch etwas passiert, ein Riesenproblem bekommen wird im Gegensatz zum Sachverständigen, der auf Nummer sicher geht und sagt: Oh, der ist gefährlich, den müssen wir unterbringen, den müssen wir in den Maßnahmenvollzug geben! – Dieser Sachverständige geht auf Nummer sicher, weil sich da das Gegenteil, dass einer eigentlich ungefährlich gewesen wäre, nie beweisen wird.
Mit der Darstellung dieser Problematik will ich deutlich machen, wie wichtig es wäre, dass wir die Anforderungen an die Gutachten und an die Qualifikation der Gutachter nicht nach unten senken, wie das jetzt in dem Entwurf passiert, in dem praktisch auch Psychologen diese Entscheidung und diese Beurteilung treffen können, ob jemand gefährlich ist oder nicht. Und das, obwohl wir wissen, dass sich die forensische Psychiatrie in den vergangenen Jahrzehnten, seit es den Maßnahmenvollzug bei uns gibt, zu einer ganz wichtigen Spezialwissenschaft, einem Teilgebiet der Psychiatrie entwickelt hat. Ich weiß, dass es wenige Gutachter gibt, aber diesem Problem jetzt damit zu begegnen, dass man die Anforderungen an die Gutachten herunterschraubt, das kann es ja wohl nicht sein, wenn es um die doch sehr entscheidende Frage geht, ob wir jemanden wegsperren oder nicht.
Da hätte ich mir schon erwartet, dass wir Beispielen aus dem Ausland wie etwa der Schweiz folgen, wo es nicht auf das Urteil von Einzelpersonen ankommt, sondern wo Konzilien, bestehend aus Psychiatern, auch aus Personen aus dem Bereich der Seelsorge, dem Bereich der Bewährungshilfe und dem Bereich des Strafvollzugspersonals, entscheiden, ob jemand in den Maßnahmenvollzug kommen soll oder dort zu bleiben hat.
All das fehlt mir, all das ist etwas, was eigentlich ohne Weiteres möglich gewesen wäre. Ja, es wäre nicht nur möglich gewesen, es wäre notwendig gewesen, das in einem ersten Schritt der Reform der Maßnahmenanordnung und des Maßnahmenvollzugs zu machen. Das ist leider nicht erfolgt, deshalb können wir diesem Entwurf keine Zustimmung erteilen. – Vielen Dank.
Dr. Johannes Margreiter, Abgeordneter zum Nationalrat. Aktuelle Beiträge auch bei uns auf facebook